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Ich sterbe am Leben


ICH STERBE AM LEBEN UND ATME IM BILD WIEDER AUF

Leben und Werk von Else Lasker-Schüler

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Zum ersten Mal bin ich der Else Lasker-Schüler als Kind begegnet, in der Schule, wo ein oder zwei Gedichte der in den Anthologien verzeichneten Dichter obligatorisch sind. Meist bleibt dann nichts hängen als eine schwache Erinnerung an den Namen, mit dem man aber nichts verbinden kann. So war es dann bei der zweiten Begegnung mit der Dichterin in Berlin gegen Ende der 70er Jahre. Der Name war geläufig, aber das, was dahinterstand unbekannt. Es wurde in der Schaubühne die "Wupper" aufgeführt und im Programmheft laß ich Ausschnitte aus ihrer Streitschrift "Ich räume auf!"


Es war diese Streitschrift eigentlich, die mein Interesse für die Dichterin erregte. Eine Frau zu Anfang des Jahrhunderts, eine Jüdin, eine Dichterin, die mit Worten, mit ihren Waffen also, gegen die Buchtyrannen, die Verleger kämpft, die "die Dichtungen auf den Märkten für ihre Taschen ausschreiben". Es ist die Beschreibung eines Kampfes, den die Dichterin verliert, weil sie zu schwach ist, als Frau, als Jüdin.


Else Lasker-Schülers Anklage gegen die Verleger brachte mich dann dazu, mich mit ihrem Werk und ihrem Leben zu beschäftigen. Ich hatte gerade eine Arbeit über die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff abgeschlossen, die ebenso wie Else Lasker-Schüler als Frau um ihre Emanzipation zu kämpfen hatte. Bei der Droste war es ein Kampf gegen den Adel, bei der Lasker-Schüler ein Kampf gegen das Bürgertum, hundert Jahre später. Während die Droste nur vom Mann-Sein träumen kann, ist es die Lasker-Schüler wirklich, indem sie in die Rolle des Prinzen Jussuf von Theben steigt. Sie schneidet sich die Haare kurz, trägt Hosen und im Gürtel ein Messer.


Die Lasker-Schüler in ihren Widersprüchen zu zeigen mit dem Leben der Bourgeoisie im Berlin der 10er und 20er Jahre, ihr Kampf, sich als Dichterin und Frau durchzusetzen, war eine Absicht der Soirée; die andere dann, sie als Jüdin zu zeigen, für die es unmöglich ist, den Kampf um Emanzipation und künstlerische Anerkennung im Deutschland nach 1933 fortzusetzen; die schweren Jahre des Exils, die erst mit dem Tod 1944 in Jerusalem enden.


In der Soirée ist es Else Lasker-Schüler selbst, die ihr Leben erzählt. Briefe, autobiographische Schriften und Gedichte zeugen von der Härte und den wenigen Freuden ihres Lebens, das sich zwischen Caféhäusern und billigen Pensionszimmern zunächst abspielt und dann in der Fremde, fernab von der Heimat Berlin und den Freunden gelebt wird. Ein Großteil der Musik, die die Texte verbindet, ist Klaviermusik von Arnold Schönberg, eines Leidensgenossen, wenn man so will und Freundes Else Lasker-Schülers. Sie wechselt ab mit Caféhaus- und Unterhaltungsmusik jener Jahre. Gerade der Wechsel von sogenannter 'tonaler' und 'atonaler' Musik soll die Widersprüchlichkeit der Dichterin mit der Bourgeoisie ihrer Zeit und mit sich selbst unterstreichen.


SPRECHER Ursula Langrock, Gustl Halenke, Wolfgang Reinsch, Helmut Wöstmann, Rudolf Jürgen Bartsch u.a.
MUSIK Arnold Schönberg
REGIE Georg Brintrup
TONTECHNIK Groß, Schröder
REDAKTION Peter-Paul Schulz
LÄNGE 160 Minuten
ERSTSENDUNG SWF 24.1.1981